Foto: Volley Talents Argovia

Wenn Volleyball die grosse Leidenschaft ist

Während die Frauen in sogenannten NNVs trainieren, liegt die Ausbildung der Männer in den Händen der beiden Nationalen Trainingszentren, den Volley Talents Argovia und den Volley Talents Rapperswil-Jona. Swiss Volley hat bei den Ausbildungsverantwortlichen der NTZ, Urs Winteler und Bujar Dervisaj, nachgefragt.

Urs und Bujar, mit welchen Zielen kommen die Jungs zu euch?

Bujar: Zu Beginn haben die Spieler ihre Ziele meist noch nicht zu hundert Prozent definiert. Im ersten Jahr geht es für sie vor allem darum herauszufinden, ob die professionelle Volleyball-Ausbildung das Richtige für sie ist. Langfristig haben bei uns alle das Ziel, in der NLA zu spielen und Nationalspieler zu werden.

Urs: Auch bei uns haben die meisten Spieler ganz klar das Ziel, Volleyballprofis zu werden und die Jungs, die noch nicht sicher sind, wohin sich ihre volleyballerische Laufbahn entwickelt, wollen sich stetig verbessern.

Bujar Dervisaj und Urs Winteler (v.r.n.l)

Wie entscheidet ihr, ob jemand in ein NTZ aufgenommen wird und was für ein Commitment muss der Spieler mitbringen?   

Bujar: Jedes Jahr finden im Herbst die Swiss Volley PISTE-Tests, die zur Potenzialeinschätzung von Spieler:innen aus der ganzen Schweiz dienen, statt. Die vielversprechendsten Spieler laden wir dann zu uns ins Probetraining ein. Neben der Anzahl freier Plätze und der aktuellen Position, auf der der Spieler spielt, ist vor allem entscheidend, ob ein Spieler bereit ist, den Schritt in Richtung professionelle Volleyballkarriere zu machen. Was er mitbringen muss, sind für mich zwei Dinge: Wille und Liebe zum Volleyball.

Urs: Eines der vielen Commitments, die ein Spieler mitbringen muss, ist es, seine Ausbildung so zu wählen, dass das zeitintensive Training möglich ist. Die meisten wählen aus diesem Grund eine kaufmännische Lehre oder das Sportgymnasium. Nur wenige machen eine «normale Lehre» für Leistungssportler. Damit das funktioniert, braucht es ein enormes Entgegenkommen des Lehrbetriebs. Ausserdem muss Volleyball deine grosse Leidenschaft sein, sonst machst du das nicht lange mit.

Wie erlebt ihr den Spirit eurer Spieler im Training?   

Bujar: Das erste Jahr ist für alle Spieler eine Herausforderung. Sie müssen sich an das tägliche Training, ein neues Team, einen neuen Trainer und eine neue Schule gewöhnen. Trotzdem erlebe ich den Spirit bei uns als sehr positiv.

Urs: Wie gesagt, alle im Team sind motiviert und wollen sich verbessern. Für mich als Trainer eine absolute Luxussituation. 

Foto: Volley Talents Argovia

Im Gegensatz zu den Frauen absolvieren die Männer eine duale Ausbildung. Sie werden sowohl in Volleyball als auch in Beachvolleyball ausgebildet. Was sind die Vorteile und was die Nachteile? 

Urs: Ich sehe keine Nachteile in der dualen Ausbildung. Natürlich könnte man argumentieren, dass man die Zeit zusätzlich im Volleyball nutzen könnte, um weitere Fortschritte in der Halle zu machen. Aber die meisten meiner Spieler finden die Abwechslung gut. Im Beachvolleyball erhalten sie direktes Feedback zu ihren Fähigkeiten. Zudem können sie sich nicht hinter ihren Teamkollegen verstecken. Ausserdem werden sie im Sand zusätzlich konditionell gefordert.

Bujar: Auch wenn wir uns überlegen, auf dasselbe System wie die Frauen umzusteigen, halte ich Beachvolleyball für eine sehr gute Abwechslung. Wenn wir im Sommer mit den Jungs in den Sand gehen, bewegen sie sich nicht nur mehr und verbessern ihre Koordination, sie sind auch als komplette Spieler gefordert. Beispielsweise muss auch ein Libero im Sand angreifen können. Allgemein müssen die Spieler taktisch clever und präzise spielen und am Ende haben alle Spass bei (meist) gutem Wetter mit dem selbstgewählten Partner spielen zu können.

Wie schnell merkt man, ob ein Spieler sich in Richtung Volleyball oder Beachvolleyball entwickelt? 

Urs: Das ist schwierig zu sagen. Als Beachvolleyballspieler sollte man gewisse Allroundfähigkeiten besitzen und das Spiel gut lesen können. Aber Technik und Physis sind auch da wichtig, wie überall auf dem höchsten Niveau.

Die NTZs werden in die 1. Liga Meisterschaft integriert, wobei sie von einem Swiss Volley Quotenplatz profitieren. Das bedeutet, sie können weder in die Nationalliga B aufsteigen noch in die 2. Liga absteigen. Wie verändert sich dadurch der Einsatz der Spieler in den Matches? 

Urs: Das gibt mir die Möglichkeit alle Spieler einzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe da meine eigene Strategie, wie ich das angehe. Und obwohl wir ja nicht absteigen können, finde ich es unglaublich wichtig, dass alle lernen, Spiele zu gewinnen. Und das machen wir nicht so schlecht.

Bujar: Ein Spieltag ist für mich wie ein Spezialtraining am Wochenende, bei dem alle wichtige Matcherfahrung sammeln können. Beim Coaching mache ich es so, dass ich das Team wissen lasse, dass alle zum Einsatz kommen und so die Formation in jedem Satz anders aussieht. Wenn man in Betracht zieht, dass unsere Spiele meist über fünf Sätze gehen, geht diese Strategie ganz gut auf.  

Macht ihr Karriereplanung mit den Spielern? Wenn ja, hat jeder Spieler eine individuelle Planung? 

Bujar: Karriereplanung ist ein bisschen weit gegriffen. Wir definieren Jahresziele mit den einzelnen Spielern und wenn diese erreicht werden, ist die logische Konsequenz, dass sie Fortschritte in ihrer Volleyballkarriere machen.

Urs: Auch ich ziehe es vor, Schritt für Schritt mit den Spielern anzugehen. Dass sie Volleyballprofis werden wollen, ist klar. Im letzten Jahr beginnen wir uns dann schon Gedanken zu machen, wo es hingehen könnte. Manchmal auch etwas früher. Insbesondere das Militär ist bei den Jungs ein Thema, und halt auch irgendwann die Frage, ob sie ein Angebot von einem NLA Club kriegen.

Mit welchen «alltäglichen» Herausforderungen müssen die Spieler umgehen können?

Urs: Sie müssen schon einigermassen selbständig sein. Die meisten gehen morgens früh aus dem Haus und kommen erst gegen acht Uhr wieder heim. Sie müssen ihre Aufgaben erledigen und auch im Training hart an sich arbeiten. Es ist ein Vorurteil, dass Sportschüler:innen mit nur 24 Schullektionen eine lockere Woche geniessen. Viele vergessen dabei die 18 Stunden Training mit einzuberechnen.  

Bujar: Für viele ist es das erste Mal, dass sie Verantwortung übernehmen müssen. Viele haben Angst, Fehler zu machen und haben daher Mühe, Risiken einzugehen.  

Wie unterstützt ihr sie im Meistern dieser Herausforderungen?

Bujar: Wir besprechen diese Dinge im Training und stellen unseren Spielern zudem einen Mental Coach zur Verfügung. Dieser hilft ihnen, den Kopf frei zu bekommen und ruhig nachdenken zu können.

Urs: Unterstützung brauchen unsere Spieler auch vor allem bei Themen wie Ernährung und Erholung. Viele sind sich nicht bewusst, dass diese beiden Faktoren die Basis für eine möglichst verletzungsfreie Karriere sind. Aus diesem Grund hat jeder Spieler im ersten Jahr mehrere Termine bei einer Sporternährungsberaterin, die den individuellen Wochenablauf anschaut. Das Ziel ist es, dass sie genügend und richtig Essen.  

Was wünscht ihr euch für die Zukunft? Wie seht ihr die Weiterentwicklung der NTZs? 

Bujar: Dazu kommen mir einige Dinge in den Sinn. Ich wünsche mir eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen den Regionen und den NLA Teams. Eine neue Halle mit zwei Feldern wäre natürlich auch toll, denn die aktuelle Halle mit nur einem Spielfeld wird etwas knapp.

Urs: Weiterentwicklungsbedarf im Sinne von noch mehr Training sehe ich im Moment nicht. Viel mehr möchte ich mein Programm noch besser fein-tunen. Am liebsten hätte ich gerne mehr internationalen Austausch, was bei den Männern mit viel Aufwand und weiten Reisen verbunden ist. Perfekt wäre es, wenn ich vor jeder Saison wählen könnte, ob ich mit meinem Team in der NLB oder der 1. Liga spielen möchte.

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Swiss Volley, 07.12.2022

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