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Das Challenge System im (Beach)Volleyball unter der Lupe

#weekofthereferee | Jonas Personeni (Beachvolleyball) und Christian Wolf (Volleyball) erklären, wie das Challenge System funktioniert, wo es überall zum Einsatz kommt und welche Vor- und Nachteile das System mit sich bringt. 

Der ehemalige internationale Beachvolleyball Schiedsrichter Jonas Personeni ist seit 2015, als das Challenge System erstmals auf der World Tour getestet wurde, als Challenge Schiedsrichter im Einsatz. Seither durfte er an Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften, World Tour Finals, World Tour Turnieren, Europameisterschaften und am Beach Nations Cup mitwirken.

Christian Wolf auf der anderen Seite ist seit mehr als 40 Jahren Volleyballschiedsrichter, davon während 26 Saisons in der NLA und NLB. Seit 2006 ist er als internationaler Schiedsrichter und seit 2023 als Video Challenge Referee im Einsatz. Swiss Volley hat den beiden einige Fragen zum System gestellt:  

Interview mit Jonas Personeni – Beachvolleyball

Worin siehst du die grössten Vorteile des Systems? Gibt es auch Nachteile?

Jonas Personeni: Der Beachvolleyball-Sport hat sich extrem entwickelt und die Kraft und Schnelligkeit ist beeindruckend. Viele Situation sind für das menschliche Auge nicht fassbar. Somit ist das System eine grosse Hilfe, um in Ruhe die Situationen prüfen zu können und nötigenfalls den Entscheid zu revidieren. Einziger Nachteil ist, dass die Videoüberprüfung teilweise etwas lange dauert und den Spielfluss etwas bricht.

Welche Technologie steckt dahinter?

Es sind Videokameras mit bis zu 340 Bildern pro Sekunde, also etwa 14x so viele wie im Fernsehen, die es erlauben, die entscheidenden Momente Frame für Frame anzuschauen. Im Beachvolleyball sind es Live-Bilder, da der Sand eine dynamische Oberfläche ist, welche sich verändert. Ausserdem sind die Linien nicht fix aufgemalt, sondern bewegliche Bänder.

Wie aufwändig ist das System, wie viele Leute stecken dahinter und wieso kommen auch bei Anwendung des Systems noch Linienrichter:innen zum Einsatz?

Einerseits ist ein Technik-Team der Firma Hawk-Eye mit 3 Personen im Einsatz, die sich um die Hardware (Computer, Kameras, Server etc.) und um die Software kümmern (Videobearbeitung, Graphics, etc.). Andererseits sind 3 Challenge Referees pro Turnier im Einsatz, damit die Neutralität gewährleistet ist. Spielt die Schweiz, bin ich entsprechend nie im Einsatz.  

Die Linienrichter:innen sind weiterhin im Einsatz, damit die Feldlinien stets korrekt ausgerichtet sind und keine Sandhügel die Linie verdecken. So ist ein richtiger Entscheid überhaupt erst möglich.

Auch in Gstaad kam das System schon zum Einsatz, dann wieder nicht mehr – wieso? 

Die ganze Technik sowie das nötige Personal, damit das System bedient werden kann, ist relativ kostspielig. Wenn es also eine einfachere, günstigere Lösung geben würde oder der Internationale Verband die Kosten tragen würde, wäre das System auch wieder häufiger im Einsatz.

Wieso dauert es manchmal – gerade im Vergleich zu anderen Sportarten wie Tennis – so lange, bis der entsprechende Ball auf dem Screen angezeigt wird? 

Das vollautomatisierte System im Tennis ist viel schneller als ein Prozess, der bis zu 6 Menschen involviert. Es kann etwas dauern, bis man das richtige Bild oder den richtigen Kamerawinkel findet, um den Fehler zu zeigen. Und da die Auflösung auch im TV übertragen wird, müssen wir oft warten, bis das Signal vom TV übernommen wird, und können es erst dann zeitgleich auf der Video-Wall ausstrahlen.

Interview mit Christian Wolf – Volleyball 

Was war Dein letzter Einsatz als Challenge Referee?

Christian Wolf: Ich hatte in diesem Jahr sechs Einsätze als Challenge Referee: Im Februar/März je ein Viertelfinal- und Halbfinalspiel im CEV Cup und in der Champions League in Polen, Frankreich, Deutschland und Italien; zusätzlich im Mai noch zwei Spiele in der European League in Ungarn.

Was sind die Aufgaben eines Challenge Referees und wie viele Leute sind da involviert?

Der Einsatz eines Video Challenge Systems an einem Volleyballspiel soll ermöglichen, dass Entscheide der Schiedsrichter überprüft werden können. Zusätzlich hat auch der erste Schiedsrichter die Möglichkeit, vor seinem Entscheid die Unterstützung des Challenge Systems in Anspruch nehmen.

Das System wird bedient von einem Challenge Operator. Dieser stellt dem Challenge Referee am Bildschirm die Bilder der entsprechenden Kamera zur Verfügung. Der Entscheid, ob die Challenge einer Mannschaft erfolgreich ist oder nicht, fällt dann der Challenge Referee. Anschliessend stellt der Operator sicher, dass der Entscheid über den Ausgang der Challenge in der Halle auf einer Grossleinwand und im Fernsehen mit einer Einblendung und einer kurzen Videosequenz gezeigt wird.

Bei vielen Spielen wird die Aufgabe des Challenge Referees vom zweiten Schiedsrichter wahrgenommen. Bei grossen Turnieren und entscheidenden Spielen z.B. im Europacup wird dann aber jeweils ein zusätzlicher Schiedsrichter eingesetzt, der nur die Aufgabe des Challenge Referees wahrnimmt.

Was sind die «Regeln» für den Einsatz des Systems (z.B. im Vergleich zum Tennis)?

Wie im Tennis kann im Volleyball jede Mannschaft solange eine Challenge beantragen (d.h. einen Entscheid überprüfen lassen), bis sie in einem Satz zwei Mal nicht erfolgreich war. Ab dann hat sie erst im nächsten Satz wieder die Möglichkeit, eine Challenge zu beantragen.

Folgende Entscheide können überprüft werden: Ball In/Out, Blockberührung, fehlerhafte Netzberührung, Antennenberührung (durch Ball oder Spieler), Übertritt beim Aufschlag, beim Angriff (3m-Linie) und am Netz (Mittellinie) sowie 'Floor Touch' (Ball am Boden oder nicht).

Es gibt aber auch Entscheide der Schiedsrichter, die nicht mit einer Challenge überprüft werden können, so zum Beispiel eine Berührung des Balles durch einen Spieler in der Verteidigung oder durch den Angreifer nach einem Block.

In der Regel beantragt der Coach eine Challenge nach Abschluss des Spielzuges (Pfiff des Schiedsrichters). Überprüft werden kann dann aber nur die letzte Aktion des Spielzuges. Die Mannschaft hat aber auch die Möglichkeit, eine Spielaktion währen des Spielzuges überprüfen zu lassen. In diesem Fall wird der Spielzug unterbrochen und die Spielaktion überprüft.  

Kannst du die Technik erklären, die hinter dem System steckt?

Es gibt Systeme verschiedener Hersteller, die im Wesentlichen aber alle gleich aufgebaut sind. Rund um das Spielfeld und an den Netzpfosten werden eine Anzahl Videokameras aufgebaut, die alle mit einem zentralen Server verbunden sind. Die ganze Technik ist vor Ort in der Sporthalle. Aufgrund der Bilder dieser Kameras werden dann die Entscheide gefällt. Je mehr Kameras verwendet werden, desto besser können die Entscheide gefällt werden. Üblich sind heute Systeme mit 15 bis 17 Kameras.

Es kann auch sein, dass keine aussagekräftigen Bilder zur Verfügung stehen und der Entscheid deshalb nicht überprüft werden kann. In diesem Fall bleibt der ursprüngliche Entscheid der Schiedsrichter stehen.

Seit einiger Zeit gibt es auch Systeme, die dem ersten Schiedsrichter automatisch jedes Mal anzeigen, ober der Ball den Boden innerhalb oder ausserhalb des Spielfeldes berührt hat. Dazu braucht es viele zusätzliche Kameras. Wenn solche Systeme zum Einsatz kommen, dann ist natürlich keine Challenge In/Out mehr möglich.

Wo kommt das System im Volleyball überall zur Anwendung?

Der internationale Volleyballverband setzt solche Systeme in allen grossen Anlässen ein. Bestes Beispiel war das Volleyballturnier der Olympischen Spiele von Paris in diesem Sommer.

Beim Europäischen Volleyballverband kommen solche Systeme nebst den Finalturnieren der Europameisterschaften vor allem in den wichtigen Spielen der drei Europacups zum Einsatz. In der Champions League ist es ab der Gruppenphase obligatorisch, im CEV Cup erst ab den Viertelfinals und im CEV Challenge Cup nur für die Finalspiele.

Viele nationale Verbände setzen solche Systeme auch in den höchsten Ligen ihrer nationalen Meisterschaften ein, so z.B. Italien, Polen, die Türkei, Frankreich, Belgien und Deutschland.

Wird das System auch einmal in der Schweiz zur Anwendung kommen?

In der Schweiz kam das System schon einige Male zum Einsatz. Vor vielen Jahren wurde es je einmal in Montreux (Volley Masters) und Basel (Top Volley International) eingesetzt. Volero Zürich setzte das System dann während vielen Jahren jeweils für die Spiele in der Champions League und für die drei Durchführungen der FIVB Club Weltmeisterschaft ein. In der letzten Saison kam ein solches System auch bei den drei Heimspielen von Viteos NUC im CEV Cup Viertelfinal, Halbfinal und Final zum Einsatz.

Einen regelmässigen Einsatz solcher Systeme in den Spielen der Schweizer Meisterschaft (NLA) ist in nächster Zeit eher unrealistisch. Die Kosten sind wohl deutlich zu hoch. Eine Möglichkeit ist, dass Swiss Volley ein solches System einmal für den Cupfinal oder den Supercup einsetzt. Wir Schiedsrichter würden dies sehr begrüssen.

Wie teuer ist so ein System?

Die Kosten sind abhängig, ob ein solches Systeme gekauft oder nur gemietet wird (z.B. für ein oder zwei Spiele an einem Tag, für drei Heimspiele einer Champions League Gruppenphase oder für eine ganze Meisterschaft). Wir sprechen hier von einigen Tausend Franken Miete für ein Spiel bis zu mehreren Zehntausend Franken pro System für Kauf oder Miete über eine längere Dauer.

Nebst den reinen «Materialkosten» (Kameras und Computer Hard- und Software) fallen aber auch Personalkosten (Aufbau und Bedienung) und ggf. Kosten für den Transport an, wenn das System an mehreren Orten eingesetzt werden soll.

Was sind die Vorteile für den Volleyballsport, wenn das System zur Anwendung kommt? 

Der grosse Vorteil liegt darin, dass am Ende der richtige Entscheid vorliegt. Falsche Entscheide der Schiedsrichter, weil sie etwas nicht oder nicht richtig gesehen haben, können so korrigiert werden. Volleyballspiele mit Challenge System verlaufen in der Regel viel ruhiger ab als solche ohne; vor allem dann, wenn es um viel geht. Es gibt nach dem Pfiff des Schiedsrichters kein lautes Geschrei und kein wildes Gestikulieren – der Coach beantragt eine Challenge und der Entscheid wird überprüft. Sehr oft geben die Spieler dem Coach auch an, dass er eine Challenge beantragen soll. Der anschliessende Entscheid des Challenge Referees wird dann von den Mannschaften fast ausnahmslos ohne weitere Kommentare akzeptiert.

Es kommt oft auch vor, dass ein Blockspieler eine Berührung mit dem Ball anzeigt, sobald der gegnerische Coach eine Challenge beantragt hat. In diesem Fall ändert der erste Schiedsrichter seinen Entscheid ohne Überprüfung durch den Challenge Referee.

Gibt es auch Nachteile?

Ja, die gibt es auch. Es entsteht zum Beispiel die Erwartungshaltung, dass alle Entscheide der Schiedsrichter überprüft werden können. Dem ist aber eben nicht so, gewisse Entscheide können bzw. dürfen nicht überprüft werden.

Die Überprüfung kann das Spiel auch etwas verzögern. Im Normalfall liegt der Entscheid einer Challenge nach 20 bis 30 Sekunden vor, in schwierigen Fällen kann dies aber auch ein bis zwei Minuten dauern. Diese Zeit ist aber in meinen Augen gut investiert, weil am Ende dann der richtige Entscheid vorliegt.

Über alles gesehen überwiegen die grossen Vorteile die wenigen Nachteile deutlich.

Swiss Volley, 23.10.2024

Schiedsrichter:innen