Philip Gabathuler ist seit Herbst 2017 als Beachvolleyball Nationaltrainer bei Swiss Volley angestellt. Bis 2016 war «Gaba», wie er von den Meisten genannt wird, selbst aktiver Spitzensportler: Auf der damals noch World Tour holte er sich zwischen 2003 und 2016 diverse Top-10 Platzierungen und trat an mehreren WM und EM an. Zweimal holte sich Gaba auch den Titel als Schweizermeister.
Dass der 1.93 Meter grosse ehemalige Blockspieler nach seinem Rücktritt im Jahr 2016 eine Karriere als Trainer in Angriff nehmen würde, war alles andere als vorhersehbar: «Ich habe immer gedacht, Trainer werde ich nicht und wenn doch, dann wohl kaum bei den Frauen», sagt Gaba mit einem Schmunzeln. Nach ersten Erfahrungen in verschiedenen Beachcamps und dem Engagement in Luzern beim SVRI im Nachwuchs und dem VBC Fribourg, waren die Vorsätze aber schnell beiseitegeschoben, als 2017 eine Stellenausschreibung als B-Kader Nationaltrainer der Frauen bei Swiss Volley ausgeschrieben war. 2024 nimmt Gaba bereits sein achtes Jahr als Coach in Angriff. Seine Entscheidung hat er seither nie bereut. «Im Gegenteil, ich habe sehr viel über mich selbst gelernt und ich glaube, dass es im Nachhinein auch die richtige Entscheidung war, bei den Frauen als Trainer zu starten, da die Distanz zu den Männern am Anfang wohl nicht gross genug gewesen wäre», so Gaba, der u.a. auch mit Mirco Gerson zusammengespielt hat.
Auch an seinen Einstand als Trainer bei Swiss Volley erinnert sich der 41-Jährige noch gut: «Es war schon ein wenig ein Sprung ins kalte Wasser. Vom Frauen-Beachvolleyball hatte ich ehrlich gesagt nur wenig Ahnung. Die Spielphilosophie und auch der Umgang untereinander sind zum Teil anders als bei den Männern». Zu seinen Anfangszeiten war Gaba als Coach für die beiden Teams Caluori/Gerson und Eiholzer/Steinemann verantwortlich. Heute coacht und trainiert er Esmée Böbner und Zoé Vergé-Dépré sowie die Teams im Transition Kader von Swiss Volley.
Als Nationaltrainer umfasst Gabas Haupttätigkeit das tägliche Training auf dem Platz – inklusive Vor- und Nachbereitung. Zusätzlich kommt eine Vielzahl an weiteren Aufgaben: Wettkampfcoach, Strategieentwicklung, Gegnerinnenanalyse, Saisonplanung, Athletinnen Entwicklung, Organisation von Trainingslagern und die persönliche Planung mit Reisen, Hotelbuchungen, Flügen und Transfers – die Liste ist schier endlos lang. Hinzu kommt der ganze administrative Teil mit Abrechnungen, Spesen und Zeiterfassung sowie die persönliche Weiterbildung.
Als Athlet und seit 2017 als Coach verfolgt Gaba die Beachvolleyballszene bereits seit über 20 Jahren aus nächster Nähe. Auf die Frage, wie sich der Sport im Laufe der Jahre verändert hat, meint er: «Als Athlet macht man sich weniger Gedanken als als Trainer. Als Coach blicke ich zurück und finde, der Sport ist populärer geworden. Auch ist Beachvolleyball heute athletischer, was mein eigenes Beispiel verdeutlicht: mit meinen 1.93 Metern Körpergrösse war ich zu meinen Debutzeiten ein durchaus dem Schnitt entsprechend grosser Blockspieler. Bereits gegen Ende meiner Aktivzeit hatte sich dies massgeblich verändert.» Auch bei den Frauen sei die physische Komponente wichtiger geworden, auch wenn es hier gemäss Gaba als kleinere Spielerin noch mehr Chancen gibt, um erfolgreich zu sein, als bei den Männern.
Nicht nur der Sport, sondern auch die Strukturen haben sich in den letzten 20 Jahren stark gewandelt – «nicht nur zum Guten», wie Gaba findet: «Früher gab es fünf, sechs top organisierte Grand Slams mit entsprechendem Preisgeld zu gewinnen. Heute gibt es zwar mehr Turniere, das Preisgeld ist aber genauso wie die Planungssicherheit viel tiefer. Ausserdem ist die Tableaugrösse viel kleiner als früher und die häufig ändernden Turnierstrukturen verwirrend.» Für Gaba ist die Struktur auf internationaler Ebene aktuell auf einem Tiefpunkt angelangt. Grosse qualitative Unterschiede sieht er auch in der Organisation von Turnieren. «Auch wenn ich heute ein guter Spieler oder eine gute Spielerin bin, verdiene ich zu wenig. Nach Paris muss sich definitiv etwas ändern», findet Gaba klare Worte.
Mit Paris spricht Philip die Olympischen Spiele dieses Jahres an. Als aktiver Spieler qualifizierte sich der Zuger selbst nie für dieses grosse Turnier, findet den Hype um Olympia zum Teil aber auch übertrieben: «Klar hätte ich gerne einmal als Spieler teilgenommen. Es ist das grösste und wahrscheinlich wertvollste Turnier für einen Sportler. Auch weil die Hürde, sich dafür zu qualifizieren, höher ist als an einer EM oder WM und Olympische Spiele nur alle 4 Jahre stattfinden. Aber man sollte sich, auch als Athletin oder Athlet, nicht nur an den Olympischen Spielen messen. Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist ein Prozess und das Resultat konstant guter Arbeit über eine längere Zeitspanne.»
Für Gaba steht heute die Entwicklung der Spielerinnen im Vordergrund. «Ich freue mich, wenn ich sehe, dass sie in jedem Training besser werden und ich meinen Teil dazu beitragen kann als Trainer. Es ist für mich ein Privileg, wenn man das Hobby zum Beruf machen kann», so der ehemalige Blocker.
Druck, weil «sein» Team, Esmée/Zoé, ganz nahe an einer erstmaligen Olympia-Qualifikation sind, verspürt er nur während bestimmter Momente. Zum Beispiel dann, wenn man in einem entscheidenden Spiel bei einem Sieg wichtige Punkte für das Olympiaranking gewinnt. Klar ist aber auch, dass Olympia 2024 das grosse Ziel von Gaba und seinem Team ist. Speziell an der Situation ist auch, dass aktuell drei Schweizer Frauenteams im Kampf um maximal zwei Olympiatickets involviert sind: «Wenn Joana und Anouk anfangen, gute Resultate zu erzielen und wir nicht, steigt natürlich der Druck», so der Nationaltrainer zur Ausgangslage. Er findet aber auch: «Wir dürfen, müssen aber nicht. Wir wollen unser Spiel verbessern und auf die Dinge achten, welche wir beeinflussen können.»
Hilft es, wenn man vor seiner Coaching-Funktion selbst professionell die Sportart ausgeübt hat? Um diese Frage besser beantworten zu können, erzählt Gaba von einem neulichen Ausflug ins Restaurant «Blinde Kuh», wo alle Serviceangestellten blind sind und die Gäste in einem komplett dunklen Raum bewirten: «Durch die Dunkelheit kann ich mir zwar vorstellen, wie es ist, blind zu sein, habe es aber selbst nie erlebt». Ähnlich sieht es Gaba im Beachvolleyball: Als ehemaliger Athlet hat er viele Situationen selbst durchlebt und kann somit gut nachfühlen, wie sich die Spielerinnen in solchen fühlen. Dennoch ist für Gaba klar, dass man kein ehemaliger Profi gewesen sein muss, um ein guter Coach zu sein. Vielmehr sollte ein guter Coach eine starke Persönlichkeit sein und Eigenschaften wie Empathie, Fachkompetenz und Leadership mitbringen. Ausserdem sollte ein Coach gemäss Gaba anpassungsfähig sein, und dies in jeder Beziehung. Besonders wichtig ist für den langjährigen Trainer auch, dass zwischen Athletinnen und Coach ein gutes Verhältnis herrscht, welches für ihn Respekt, Transparenz, Authentizität, Ehrlichkeit und Vertrauen beinhaltet.
Einen Moment überlegt Gaba, welche drei Punkte ihm an seinem Job am besten gefallen. Schliesslich meint er: «Die Persönlichkeitsentwicklung von mir selbst; der Job ist aufregend und emotional und ich kann helfen, Träume zu verwirklichen. Und es ist ein Privileg, seine Leidenschaft ausüben zu dürfen. Am Morgen aufzustehen und sich auf die Arbeit zu freuen, ist ein schönes Gefühl».
Weniger zum Feiern zumute ist Gaba, wenn er an Turniere in China und unprofessionelle Stakeholder denkt, welche sich nicht für den Sport einsetzen: «Dies ist überall dort der Fall, wo die Politik überhandnimmt», sagt Philip. Und was er an seinem Beruf gar nicht mag, sind viele Leute, welche in einem bestimmten Zeitraum das gleiche wollen, wie zum Beispiel (zu) lange in einem Flugzeug sitzen – kein Wunder, bei 1.93 Metern Körpergrösse und etwa einem Meter breiten Schultern.
Als Nationaltrainer ist Gaba circa vier Monate pro Jahr im Ausland unterwegs. Da ist es wichtig, dass das Umfeld hierfür Verständnis zeigt. Früher als Athlet hatte Gaba Mühe, Bindungen einzugehen. Als Coach und mit ein paar Jahren mehr auf dem Buckel, fällt ihm dies heute leichter. Es hilft sicher auch, dass Philips Partnerin Kerley eine ehemalige Profi-Volleyballerin ist.
In seiner Freizeit fährt Gaba schon seit Kindesjahren gerne Ski oder spielt Tennis. Selbst im Sand steht er nur noch selten. Letzten Sommer spielte er spasseshalber zusammen mit Trainerkollege Dave Scheidegger ein B1-Turnier – und holte sich souverän die Bronzemedaille. Seit einiger Zeit übt Gaba aber auch ein etwas exotischeres Hobby aus: das Gleitschirmfliegen. Das Brevet hat der Sportfanatiker mittlerweile im Sack. Leider bleibt die Zeit, um dieses regelmässig auszuüben, ein wenig auf der Strecke. Das letzte Mal war Gaba im letzten Frühling in der Luft. Gut möglich aber, dass schon bald die nächsten Höhenflüge auf ihn und sein Team warten.
Swiss Volley, 06.03.2024