Swiss Volley Magazine 2013-2 deutsch - page 7

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Schon damals fiel auf, wie entwaffnend
ehrlich und direkt Patrick Heuscher war – er
redete nie lange um den heissen Brei herum.
Die Tatsache, dass sein kongenialer Partner
Stefan Kobel, mit dem er ein Jahr zuvor in
Athen die Olympia-Bronzemedaille gewon-
nen hatte, seinetwegen nicht mehr weiter-
spielen konnte, schmerzte Heuscher fast
mehr als sein verletztes Knie.
Natürlich passt das Adjektiv «selbstlos» zu
Patrick Heuscher. Aber nicht nur. Er war
auch: zielstrebig, konsequent, nachdenklich.
Und ein Chaot. Der Thurgauer ordnete sei-
nem Sport während 15 Jahren nahezu alles
unter. Er demonstrierte ein hohes Mass an
Leidensbereitschaft. Er ging Kompromisse
ein. «Pädi war ein liebenswürdiger Chaot.
Weil er immer wieder etwas zu Hause ver-
gessen hatte, packte er auf einmal eine Zau-
berbox ins Auto. Dort waren tausend Sachen
drin», erzählt sein ehemaliger Partner Sa-
scha Heyer mit einem Schmunzeln. Auf die
süssen Seiten des Lebens konnte Heuscher
Sozial engagiert: Heuscher mit Partner Bellaguarda beim Kids-Training im Chinderhuus Ebnit.
Von ausgelassen bis nachdenklich: Patrick Heuscher durchlebte während seiner Karriere wohl sämtliche emotionalen Facetten des Spitzensports.
verzichten. Der Lohn: eine glänzend gefüllte
Vitrine mit der Bronzemedaille von Athen
sowie den drei Siegerpokalen für die World-
Tour-Erfolge in Gstaad, Paris und Roseto als
Blickfang. «Als Profisportler konnte ich den
Moment nie so richtig geniessen. Stets folg-
te das nächste Ziel. Erst gegen Ende meiner
Karriere, als ich mit Sascha Heyer und Jef-
ferson Bellaguarda zusammenspielte, ging
es im zwischenmenschlichen Bereich heite-
rer zu und her», sagt Heuscher. In den zehn
Jahren an der Seite von Stefan Kobel habe
sich der Spassfaktor in Grenzen gehalten,
meint der Beachvolleyball-Pensionär. «Aber
wir waren sehr erfolgreich.» Jetzt freue er
sich darauf, den Augenblick zu geniessen.
Kürzlich hat Patrick Heuscher sein Nachdi-
plomstudium am Institut für Finanzdienst-
leistungen (IFZ) aufgenommen. «Ich gebe mir
zwei Jahre Zeit, die Volkswirtschaft zu verste-
hen. Das ist mein nächstes Etappenziel», sagt
der achtfache Schweizer Meister. Gegen-
wärtig bildet er sich in Hongkong bei einem
selbstständigen Vermögensverwalter weiter.
Die Finanzbranche dürfte Heuscher schon als
Athleten interessiert haben, hat er in seiner
Karriere doch über eine halbe Million Franken
Preisgeld gewonnen. Mit der Gründung einer
Autovermietungsfirma in Taghazout, einem
kleinen Fischerdorf im Süden Marokkos, hat
sich Heuscher ein zweites Standbein aufge-
baut. «Ich beschäftige dort sechs Leute.» Das
sei für ihn nachhaltige Entwicklungshilfe, sagt
der Athletenbotschafter von «Right To Play».
Für diese internationale Entwicklungshilfe-
organisation engagiere er sich nicht mehr so
leidenschaftlich wie früher. Sie sei gross und
unpersönlich geworden, meint der kritische
Zeitgenosse. Mit dem Beachvolleyball bleibt
Patrick Heuscher auch nach seinem Rück-
tritt verbunden: Beim Grand-Slam-Turnier in
Gstaad wird er seiner Freundin Tanja Gorica-
nec (23) auf der Tribüne die Daumen drücken,
wenn sie an der Seite ihrer neuen Partnerin
Tanja Hüberli im Sand baggert.
Auf der Gstaader Tribüne wird Patrick
Heuscher Besuch erhalten – so wie damals
im Sanitätszelt in Sankt Petersburg. Einziger
Unterschied: Er kann mit dem Journalisten
munter drauflosplaudern, ohne entschei-
den zu müssen, was nun in der Zeitung
stehen darf und was nicht. Er wird seinen
Gesprächspartner besser verstehen als den
russischen Arzt. Wobei: Russisch ist gar
nicht so schwierig. Mindestens 30 Wörter
kennt Heuscher schon: Akt, Fakt, Takt, Tabak,
Metro, Kurs, Charakter, Chaos, Radio, Stadi-
on, Doktor, Idealist, Sport, Fotograf, Passa-
gier, Jongleur, Chef, Lift, Spezialist, Telefon,
Poet, Chauffeur, Taifun, Film, Objekt, Puls,
Kartoffel, Stil, Student, Journalist.
Und auch dieses Wort versteht er gut: Pilot.
In diesem Sinne: Anschnallen! Patrick
Heuscher hebt ab zum nächsten Höhenflug.
Schöne Aussichten!
Foto: Swiss Volley
Foto: FIVB
Foto: Markus Foerster
Foto: Andreas Eisenring
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