Luca Ulrich: «Nicht nur Volleyball, auch das Leben muss stimmen»

Seit dreieinhalb Monaten lebt Luca Ulrich in Ravenna, als Volleyballprofi in der italienischen Serie A. Mit Jovan Djokic bei Mailand ist gar ein zweiter Schweizer in der der stärksten Liga der Welt engagiert.

Noch nie hat ein Schweizer als Profi in Italiens höchster Spielklasse gewirkt. Und dass gleich zwei angeheuert worden sind, ist ebenso erfreulich wie erstaunlich. Einer ist der 24-jährige Luca Ulrich, aufgewachsen im luzernischen Zell, als Sohn von Peter Ulrich, einst auch Nationalspieler und Schweizer Meister mit Leysin. In Willisaus Nachwuchsabteilung bekam Luca das Volleyball-ABC von seinem Vater beigebracht. Bereits mit 16 spielte er beim VBC Luzern in der NLB eine Schlüsselrolle. Dank Talent und Spielintelligenz setzte sich der Zeller als 18-Jähriger auch bei Volley Luzern in der NLA durch. Und schnell auch bei Schönenwerd und im Nationalteam.

Der Schritt in eine ausländische Liga schien ein logischer zu sein, in die Super Lega war es aber auch der Grösstmögliche. Dass dies gelang, hat mit dem italienischen Nationaltrainer der Schweiz zu tun. «Mario Motta hat mir einen Landsmann als Agenten vorgeschlagen. Und dank ihm haben sich dann einige Kontakte ergeben», erklärt der Aussenangreifer. Ein Türöffner dabei war, dass Ulrich in der Schweizer EM-Qualifikationsgruppe als bester Scorer glänzte. Und Ravenna war auch darum die richtige Wahl, weil der Club nicht gerade zu den Top-3 der Lega gehört, wo Ulrich wohl nur ganz wenig Einsatzzeit bekommen hätte.  

Grosse Fortschritte – aber Kampf gegen den Abstieg

Die Begegnung in Ravenna beginnt klischeehaft: Ein weisser Fiat Cinquecento fährt vor der Trainingshalle Pala Costa vor. Ihm entsteigt der Fahrer: 197cm gross, Volleyballprofi, Schweizer. Ist das Auto nicht ein bisschen zu eng für ihn? «Nein, das täuscht, das geht ganz gut», lacht Luca Ulrich, «fast alle Spieler von Ravenna fahren ein solches Auto. Und ich bin sehr froh darum, wenn es ums Parkieren geht.»

Seit dreieinhalb Monaten lebt der 24-Jährige seinen Traum als Volleyballprofi in Ravenna, wo er mithelfen soll, den Abstieg zu verhindern. Dies ist das realistische Ziel des Vereins, der nicht mit Geld gesegnet ist und dessen glorreiche Zeiten weit zurück liegen: Der einzige Meistertitel gelang 1991 dank dem Jahrhundertspieler Karch Kiraly (USA), der als einziger Spieler überhaupt, nebst zwei Olympiasiegen in der Halle, auch noch Gold im Beachvolleyball geholt hat.

«Das Niveau ist extrem hoch»

Nach seinem abgeschlossenen Biologiestudium (Bachelor) ist Ulrich nun Vollprofi – mit Wohnung, Auto, Essen im Restaurant und fixem Lohn, von dem es sich hier sehr gut leben lasse. Wie findet er sich sportlich zurecht? «Das Niveau hier ist schon extrem hoch», meint er, «und zwar in allen Bereichen. Aber ich konnte mich in kurzer Zeit bereits in vielem verbessern, und ich habe das Gefühl, dass es mit jedem Spiel besser geht.»

Dabei imponieren ihm nicht einmal so sehr die grossen Stars, wie etwa Wilfredo Leon, der kubanisch-polnische Powerservierer. In Italien seien einfach alle Elemente besser, wie etwa das Block-Defense-System. So staunt Ulrich darüber, wie extrem stark die Mittelblocker in der Verteidigung sind: «Wenn ich früher jeweils eine Finte hinter den Mittelblocker legte, ging der Ball fast sicher zu Boden. Hier ist das ganz anders.»

Leben mit Freundin Savana

Er wohnt in einer schmucken Altstadtwohnung mit Balkon, angrenzend an das historische Zentrum der durch Dichter Dante berühmt gewordenen Adriastadt. Ulrich sind soziale Kontakte sehr wichtig und so schätzt er besonders, dass ihn seine Eltern schon zweimal besucht haben. Und momentan lebt auch seine Freundin bei ihm.

«Da wir fast nie einen volleyballfreien Tag haben, bin ich sehr froh, dass Savana für ein paar Wochen bei mir sein kann», freut sich Ulrich. Das Stadtleben geniessen, gemeinsam kochen und Privatunterricht in Italienisch nehmen bringen willkommene Abwechslung in den eng strukturierten Sportalltag. Und neuerdings greift er auch wieder zur Gitarre: «Ich habe als Kind einmal fünf Jahre lang gespielt, aber alles verlernt. Jetzt habe ich mir hier eine billige Gitarre gekauft und wieder begonnen.»

Auch an Weihnachten hofft er auf familiäre Besuche, denn der Spielplan mit Partien am 23., 26. und 30. Dezember lässt den umgekehrten Weg nicht zu. Er hofft aber auf zwei, drei Freitage an Neujahr und plant, mit der Familie von Freundin Savana Venedig zu besuchen. Luca Ulrich bringt sein momentanes Profidasein treffend auf den Punkt: «Für mich gibt es nicht nur Volleyball, auch das Leben drum herum muss stimmen.»

Das «halbe» Schweizer Duell

Vor zehn Tagen kam es zum ersten Aufeinandertreffen von Ravenna und Mailand – und somit von Luca Ulrich und Jovan Djokic. Die beiden sind regelmässig in Kontakt und tauschen die gemachten Erfahrungen aus. Aus dem erhofften Schweizer Duell wurde aber nichts: Zwar ist Luca Ulrich in den ersten neun Meisterschaftspartien regelmässig eingesetzt worden, während Jovan Djokic bei Milano erst zweimal zu Kurzeinsätzen gekommen war. Aber im Direktduell wars umgekehrt: In der hart umkämpften Partie kam Djokic zu mehreren Teileinsätzen und hatte damit direkten Anteil am 3:2-Auswärtserfolg. Ulrich hingegen bekam während der ganzen Partie keine Einsatzminute zugestanden, obwohl man sich nach den ersten beiden Verlustsätzen auch ein aktiveres Coaching von Trainer Emanuele Zanini hätte vorstellen können.

«Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich in einem Spiel nie eingesetzt wurde», musste Ulrich konstatieren. Dennoch konnte der Aussenangreifer das nachvollziehen und analysierte ganz sportlich: «Normalerweise wechselt unser Trainer häufig, aber diesmal hielt er an der Startformation fest. Die auf dem Feld haben aber auch wirklich gut gespielt. Und ich selber bin auch einer, der es schätzt, wenn der Trainer einem über längere Zeit das Vertrauen schenkt, auch wenn man mal einen Fehler macht.»

Die Aufholjagd nach 0:2-Satzrückstand wurde für Ravenna wenigstens mit dem zweiten Punkt dieser Saison belohnt. Nachdem Schlusslicht Ravenna gegen die Top-Fünf der Liga gespielt hat, folgte am Sonntag das eminent wichtige Spiel gegen den direkten Tabellennachbarn Verona. Luca Ulrich kam, trotz krankheitsbedingter Schwächung, in drei Sätzen zum Einsatz (und erzielte dabei fünf Punkte), konnte aber die 1:3-Niederlage nicht verhindern, was die Lage am Tabellenende noch prekärer macht.

«Djoker» Djokic

Noch härteres Brot als Ulrich hat Jovan Djokic bei Milano zu beissen: «Für mich ist es nicht einfach, ins Team hineinzukommen, denn auf meiner Position der Aussenangreifer habe ich zwei Konkurrenten, die beide wirklich sehr stark sind.» Eine ungewöhnliche Rolle für den Romand, der letzte Saison Schweizer Meister mit Chênois geworden ist: «Von der Schweiz her bin ich mich natürlich gewohnt, von Anfang an zu spielen. Und so ist es nicht einfach für mich, irgendwann aufs Feld zu kommen und sofort den Rhythmus finden zu müssen.»

Gegen Ravenna war er gar «Djoker» für alles – wurde er doch kurzzeitig auch als Diagonalangreifer und einmal gar als Mittelblocker (!) eingesetzt. «Dem Team helfen», nennt man das hier. Nicht mithelfen konnte Djokic dann am Sonntag gegen Padua, wo der Schweizer nicht eingesetzt wurde. Milano festigte mit dem 3:1-Heimsieg den siebten Tabellenplatz.

Beide Schweizer sind also einem enorm harten Konkurrenzkampf ausgesetzt und kämpfen um jede Einsatzminute. Alles andere hätte allerdings auch erstaunt, angesichts der enormen Dichte von Topspielern in Italien. Aber die neuen Erfahrungen in der kompetitivsten Liga der Wert sind für die zwei Schweizer von unschätzbarem Wert.

Direkt-Interview mit Luca Ulrich

Luca, wer bist du?

Ich bin ein Volleyballspieler, der gerne auch seinen Kopf braucht und gerne studiert. Ich schätze Kontakte sehr und würde mich als sehr soziale Person bezeichnen. Und ich versuche, im Leben all das zu balancieren – einerseits Volleyball und andererseits auch mein Biologie-Studium, wo ich eines Tages noch den Master machen will.

Den Kopf brauchen, heisst für dich auch, im Volleyball den Kopf brauchen...

Ja, aber im Volleyball kann man den Kopf auch zu viel brauchen. Da ist auch viel Intuition gefragt. Es sind viele bewusste Entscheide, die du triffst, aber gerade auf diesem hohen Level hier kann man auch zu viel studieren. Das ist schon eine neue Challenge, dieses Niveau hier mitzugehen. Ich merke aber, dass ich mich ständig verbessere und ich mich langsam anpassen kann.

Wie ist das Leben hier als Profi?

Interessant! Ich komme gut zurecht mit den zwei Trainings täglich. Man reist sehr viel und lange mit dem Bus. Schön ist, dass man mit den Mitspielern einiges machen kann, weil die ja alle auch Profis sind und Zeit haben. In der Schweiz ist das ganz anders, weil die meisten noch eine andere Beschäftigung haben.

Was sind bezüglich Spiel und Taktik die Unterschiede zur Schweiz?

Das ist ein grosser Unterschied in allen Elementen. Man erwartet von den Spielern, dass sie auf hohem Niveau immer ihre Leistung bringen und die Konzentration immer hochhalten. Der Block ist besser, Block-Defense ist viel besser. In der Schweiz gibt es pro Team vielleicht einen, zwei, die gut servieren können. Hier ist es jeder und dazu sehr variantenreich. Vor allem aber kann jeder Spieler das Spiel sehr gut lesen, was in der Schweiz die Ausnahme ist. Das hat auch mit der genaueren Analyse der Gegner zu tun.

Ich zum Beispiel habe die Tendenz, bei High-Balls den Angriff Block-Out zu schlagen. Weil die Gegner das bereits wissen, stehen manchmal schon zwei Verteidiger ausserhalb des Feldes bereit und warten auf meinen Ball. Es ist schwierig, in so kurzer Zeit in allem besser zu werden. Ich habe sicher schon einige Fortschritte gemacht, aber ich muss mir das Vertrauen des Trainers noch mehr erkämpfen.

Wie erlebst du die Stimmung an den Spielen in Italien?

Momentan hat es nicht überall sehr viele Zuschauer, weil wegen Covid die Hallen momentan nur zu 60% gefüllt werden dürfen. Aber die Stimmung ist schon einiges besser als in der Schweiz. Vor allen die besseren Clubs haben einen harten Kern an Fans, die sehr aktiv sind. Von denen wird man auch permanent ausgepfiffen, wenn man am Service ist – aber das macht mir nichts aus, das gehört offenbar dazu.

Wie kommst du mit der Intensität des Profilebens zurecht?

Die körperliche Belastung mit zwei Trainings pro Tag ertrage ich eigentlich recht gut. Wir haben in jedem Training zwei Physios, was sehr hilft. Es ist eher die grosse mentale Belastung, die anhängt, weil man auf so hohem Niveau permanent so vieles richtig machen muss. Darüber tausche ich mich oft mit unserem Mentalcoach aus, was mir hilft, mit Drucksituationen besser umgehen zu können. Und ich bin auch sehr froh, dass meine Freundin Savana momentan bei mir ist.

Weil es dann nicht immer um Volleyball geht...

Ja genau, wir sprechen jeweils schon kurz über das Spiel. Aber in der Schweiz hatte ich das Studium und den Austausch mit den Mitstudenten zum Ausgleich. Das war mir sehr wichtig, denn ich glaube, wenn man nur auf Volleyball fokussiert ist, kann man sich auch verlieren. Ich versuche schon immer, das Beste zu geben, auch wenn mal kein guter Tag ist. Aber ich will auch nicht unrealistisch hohe Ansprüche an mich stellen und zu verbissen sein, da kann man sich selber auch kaputt machen.

Du hast bei Ravenna einen Einjahresvertrag. Wie siehst du deine Zukunft?

Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht ganz sicher, wie meine Zukunft aussieht. Das hängt natürlich von den Angeboten ab. Ich spiele solange Volleyball, wie mir das Spass macht. Aber ich hätte auch kein Problem, weiter zu studieren. Ich will das nicht verbissen erzwingen müssen oder extrem aufs Geld angewiesen sein durch den Sport. Mir ist auch mein Umfeld sehr wichtig und auch das Leben drum herum muss für mich stimmen.