Laura Künzler: ein grosser, aber entbehrungsreicher Schritt nach vorn.

Laura Künzler, Captain der Nationalmannschaft, setzt ihre Karriere im Südfrankreich fort. Der Wechsel von Mulhouse zu Pays d’Aix Venelles hat sich in vielerlei Hinsicht gelohnt, auch wenn die Pandemie den Lauf der Dinge bestimmt.

20. September 2020. Diesen Sonntag wird Laura Künzler nie mehr vergessen. Da hat sie ihren erst zweiten Ernsteinsatz mit ihrem neuen Klub. Und am Ende des Tages darf sie einen Pokal in die Höhe stemmen. Cupsiegerin von Frankreich! Was für ein Einstand für Laura Künzler bei ihrem neuen Arbeitgeber in Südfrankreich. Es ist der erste Titel für die 24-jährige Aussenangreiferin bei der Elite überhaupt. 

Wegen der Corona-Pandemie war das Final-Four-Turnier um den Pokal vom Frühling auf den September verschoben werden, so dass Neuzuzug Künzler ihr allererstes Spiel für PAVVB der Halbfinal ist, ausgerechnet gegen Mulhouse, ihren ehemaligen Klub. «Ich war sehr nervös und aufgeregt, vor allem zu Beginn in der Annahme, aber dann war ich wie in einem Tunnel. Wir lieferten ein Riesenspiel ab und gewannen 3:0», strahlt Künzler. Und am Tag danach war die Schweizerin im Final gegen Volero Le Cannet (ebenfalls 3:0) mit 18 Punkten die mit Abstand erfolgreichste Skorerin. 

«Das gab mir eine Riesenmotivation und ich spürte auch Erleichterung und Bestätigung, meiner Fähigkeiten, dass ich es doch kann, nachdem ich in Mulhouse nicht zum Stamm gehört hatte», beschreibt Künzler ihren Traumeinstand.

Warum der Wechsel innerhalb von Frankreich?

«Ich hatte eine coole Saison in Mulhouse, ich bereue nichts. Ich habe auch immer wieder gespielt, aber selten beim Start des Spiels oder zu Beginn eines Satzes. Der Trainer hat mir nie richtig das Vertrauen geschenkt», erklärt Künzler, «ein zweites solches Jahr wollte ich nicht erleben. Und so habe ich nach der Saison zu ihm gesagt: Wenn du mich nicht als Stammspielerin siehst, dann sag es mir bitte, damit ich weiss, woran ich bin.»

Und so hat Laura mit ihrer Agentin die Fühler gestreckt und ist beim Mittelfeldteam Venelles gelandet, das Ambitionen hegt, in drei Jahren zu den Top Vier Frankreichs zu gehören. Venelles ist ein kleines Städtchen mit 8500 Einwohnern, in der Region Alpes-Hautes-de-Provence. Bis Marseille und zu den schönen Stränden sind es rund 50 Autominuten. 

Viele neue Inputs

Der neue Lebensraum mit dem mediterranen Flair gefiel ihr auf Anhieb: «Ich denke immer wieder, in was für einer schönen Gegend ich lebe, wo ich doch sonst nur Ferien machen würde.»  Sie fühlte sich von Anfang an wohl und verstand sich auch auf Anhieb mit dem italienischen Trainer Alessandro Orefice. Der ehemalige Athletik-und Assistenztrainer von Seriensieger Cannes ist zum ersten Mal Headcoach in Frankreich. 

«Was mir sofort gefiel, war seine analytisch-taktische Vision und auch sein Hang, an jedem noch so kleinen Detail zu feilen, wenn es darum geht, die Technik zu verbessern. Er gibt mir viele neue Inputs», erklärt Künzler, «er nimmt Volleyball extrem auseinander und darüber diskutieren wir viel.» Da sei er noch fast akribischer als ihr ehemaliger Nationaltrainer Timo Lippuner, schmunzelt sie. Und das will etwas heissen. Nur ein Beispiel bezüglich Spielstrategie: Jede gegnerische Angreiferin wird auf verschiedenste Handlungsmuster hin analysiert. Auf einen Pass aus dem Lauf heraus schlägt z.B. Angreiferin X lieber diagonal als Linie, was Hinweise gibt, wie sie geblockt werden muss. Das sei zwar sehr anspruchsvoll und kopflastig und könne auch überfordern, aber ihr gefalle es, wie genau man einzelne Aktionen anschauen könne. Was ihr auch gefällt: Sie hat einen halben Tag trainingsfrei, was dann aber mit längeren Einheiten kompensiert wird. 

Künzler, eine von sechs Ausländerinnen, hat inzwischen ein Hauptziel bereits erreicht: «Jedes Spiel, wo ich fit war, stand ich in der Startsechs.» Mitgeholfen hat, dass sie im Sommertraining den Fokus stark auf die Annahme gelegt hat. «Nebst Technik sind Vertrauen in sich und mentale Stärke wesentliche Elemente. Da habe ich viel Zeit investiert und ich fühle mich momentan sehr stabil in der Annahme.» 

Nach dem Pokalsieg in den Lockdown...

Die erste Meisterschaftsphase war wegen der Pandemie aber äusserst anforderungsreich. Nach einem Monat mit begrenzter Zuschauerzahl und Maskenpflicht folgte bis kurz vor Weihnachten ein strenger Lockdown. Zwar konnte der Profisport unter Ausschluss der Fans weitergeführt werden, aber der Alltag kam praktisch zum Erliegen. «Ich durfte nur für gewisse Tätigkeiten die Wohnung verlassen und musste mich vorher Online für alles anmelden, wie etwa Training oder Physio, falls ich in eine Kontrolle gekommen wäre», beschreibt Künzler die schwierige Situation. 

Covid macht den Meisterschaftsalltag war völlig ungewiss. «Wir sind froh, dass überhaupt gespielt werden kann. Aber es ist schon nicht einfach. Da macht man eine Stunde Videostudium und 10 Minuten später wird das Spiel abgesagt. Wir sind auch schon angereist und konnten dann nicht spielen. All die Spannung, die man aufbaut, die Vorfreude, fällt in sich zusammen. Dieses sich immer wieder neu Motivieren und nicht wissen, ob das Spiel stattfindet, ist sehr schwierig.»  

Positiv äusserst sie sich hingegen über den Umgang ihres Vereins mit der Krise: «Er ist vorbildlich bezüglich Schutz der Spielerinnen. Wir werden jede Woche getestet und die Gesundheit der Spielerinnen wird hoch gewichtet. Das rechne ich meinem Verein hoch an. So vorbildlich machte das fast kein anderes Team.» Die Regeln seien von Klub zu Klub sehr unterschiedlich du deshalb sei es auch zu gehäuften Ausbrüchen bei anderen Teams gekommen. 

Weitblick und Sonnenuntergang

Ihre Wohnung liegt in einer Ferienresidenz am Rand eines kleinen Dorfes. Bei den heissen Temperaturen anfangs Saison brachte ein Swimming-Pool etwas Linderung. Und dann hatte Laura Künzler wegen Covid unerwartet viel Zeit, sich auf ihrem schmucken Balkon mit Weitsicht zu entspannen. Die Beine ausgestreckt, einen feinen Cappuccino auf dem Beistelltisch. Der Blick schweift in die Ferne, über Felder voller Reben, gesäumt von Pinien. Die untergehende Sonne taucht das Grün in Feuerrot. Klingt fast nach Paradies.  «Was ist das für ein herrlicher Blick, den ich da habe, sage ich mir immer wieder. Aber manchmal denke ich auch, das ist wie ein schlechter Witz: Da wohne ich in einer so schönen Region, wo mich viele Leute gerne besuchen würden und ich auch wieder mal Schweizerdeutsch reden könnte. Ich bin da schon oft sehr alleine.» Kochen lenkt sie ab, aber sie hätte gerne auch andere Menschen am Tisch. Es sei nicht einfach, wenn man die schönen Erlebnisse nie direkt mit den Liebsten teilen könne. 

Harte Trennung

Vor allem vermisst sie ihren Freund, den sie monatelang nicht sehen konnte. Leon Dervisaj ist auch ein Volleyball-Spitzenspieler: Der ehemalige Schönenwerd-Passeur hat kürzlich sein erstes Aufgebot für die deutsche Nationalmannschaft bekommen. Dann endlich, Weihnachtszeit, Familienzeit – und Geburtstag: am 25. Dezember wurde Künzler 24. Jahre alt, gefeiert im Kreis ihrer Familie im aargauischen Ehrendingen, zusammen mit den drei Schwestern und natürlich – endlich – mit ihrem Freund. Es war wohl wieder für lange Zeit das letzte Treffen: «Ich muss mich darauf einstellen, dass wir uns vielleicht erst nach Saisonende wiedersehen werden.» Die lange Zeit der fehlenden Aussenkontakte macht ihr entsprechend zu schaffen: «Klar, ich bin jetzt Profi, aber in normalen Zeiten hätten wir uns wohl so einmal im Monat sehen können. Jetzt kommt es mir so vor, als würde ich auf einem anderen Kontinent leben.»

Zukunftsoption

Was denkt die 24-Jährige, wie ihr Leben in fünf Jahren aussehen könnte? «Es kann gut sein, dass ich dann immer noch Volleyball spiele. Es kann aber auch sein, dass ich irgendwo in einem Kindergarten arbeite.» Künzler absolviert seit eineinhalb Jahren ein Fernstudium in Kindheitspädagogik und baut sich so eine zweite Option auf. «Ein Leben ohne Volleyball kann ich mir im Moment noch nicht vorstellen, wo ich noch so viel Spass dran habe. Ich bin noch nicht an dem Punkt angekommen, wo ich alles ausgeschöpft habe. Wer weiss, vielleicht liegt einmal gar Italien drin?», sinniert sie, «aber ich habe auch gelernt, dass es nicht gut ist, wenn ich mir zu viel Druck mache mit ganz konkreten Zielen. Und ich habe auch gemerkt, dass es schon noch anderes gibt als Volleyball. Deshalb sehe ich der Zukunft entspannt entgegen und lasse mich vom Bauchgefühl leiten.» 

Jetzt aber geht es Ende Januar erstmal mit der Meisterschaft weiter: Nach einer Zwischenkrise mit vier Niederlagen in Folge folgten noch vor der Weihnachtspause ebenso viele Siege in Serie für die «Rebelles». Laura Künzler ist beim momentanen Tabellendritten Venelles – trotz widriger Umstände -  ebenso zur festen Grösse geworden wie Maja Storck in Dresden. Fortsetzung folgt.

©Swiss Volley by Andreas Eisenring