Jovan Djokic – oder wie aus einem «Spaghetti» ein Kraftpaket wurde

Jovan Djokic schraubt sich hoch. Viel höher als manch anderer, der deutlich länger ist als die 190cm, mit denen der begnadete Aussenangreifer auszukommen hat. Und dann peitscht er den Ball mit seinem explosiven Schlagarm Richtung gegnerisches Feld. Und ist dieser erst einmal am Block vorbei, steht die Verteidigung meist auf verlorenem Posten – so hart ist der Smash des 25-Jährigen Genfers, der im Nationalteam und bei LINDAREN Volley Amriswil eine zentrale Rolle spielt, sowohl im Angriff als auch in der Annahme.

Diese geballte Ladung Dynamik auf dem Feld mag für Aussenstehende merklich kontrastieren zum zurückhaltenden Auftreten von Jovan abseits des Feldes. «Vor allem bei ersten Kontakten bin ich eher zurückhaltend, sogar etwas scheu», meint er, «wenn ich allerdings einmal Vertrauen gefasst habe, dann taue ich schon auf.»

Und das bedeutet, dass der ausgesprochene Teamplayer durchaus für viel Betrieb in seinem Team sorgen kann: «Ich lache gerne mit allen, bin immer positiv und kann auch ein wenig verrückt sein.»

Gar nicht langweilig in Amriswil

Mit 10 Jahren beginnt Jovan bei Chênois Genf mit Volleyballspielen. Im Alter von 15 Jahren kommt das Grosstalent dann erstmals in der ersten Mannschaft zum Zug, und zwar gleich in einem Europacupspiel. 2012 wechselt er zum Rivalen Lausanne UC, weil er zu mehr Spielpraxis kommen will. Der 18-Jährige sieht keine Chance, an den neu verpflichteten mexikanischen Topspielern Carlos Guerra und Gustavo Meier vorbei zu kommen.

Und jetzt ist er also in Amriswil gelandet, der Thurgauer «Stadt» mit rund 12’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Er hat die ehemalige Wohnung von Sébastien Steigmeier übernommen, mit dem er schon in Genf als Junior gespielt hat. Langweilig wird es dem Städter aber gar nicht auf dem Land. «Wir machen viel mit der Mannschaft zusammen, essen eine Pizza oder treffen uns in einer Bar», erklärt Jovan. Es kommt auch öfters zu gemeinsamen TV-Abenden mit Champions League-Fussball oder Formel-1-Rennen. Oder es locken der Bodensee und das Thermalbad Konstanz. Und für den abendlichen Ausgang ist St. Gallen nah, aber auch in Zürich sei man schnell. Abseits des Volleyballs ist er zudem mit seiner sportwissenschaftlichen Masterarbeit beschäftigt, mit dem Ziel, dereinst Sport und Geschichte unterrichten zu können. 

Familienmensch Djokic

Auch die Familie ist ihm ganz wichtig. Das sagen zwar viel Sportler, aber Jovan, dessen Eltern aus Serbien stammen, lebt diesen Satz auch: «Ich habe praktisch täglich Kontakt zu meinen Eltern, aber auch zu meiner Schwester oder den Cousins.» Sein Vater besucht so oft wie möglich die Spiele seines Sohnes und scheut dafür auch mal den langen Weg nach Amriswil nicht. Jovans Freundin wohnt zwar in Lausanne, aber die beiden sehen sich oft, im Schnitt etwa einmal wöchentlich. So ist es zu verschmerzen, dass seine engsten Angehörigen über 300km entfernt leben.

Muskeln gegen Verletzungen

Die grösste Veränderung hat Jovan bei Amriswil bezüglich Physis durchgemacht. Fitnesscoach Mélanie Pauli hat am Anfang kaum glauben können, in was für einer schlechten körperlichen Verfassung ihr Schützling vor zwei Jahren war. «An einem Konditionstest im Sportstudium an der Uni Lausanne bekam ich eine Note von 1.75, von maximal 6», gesteht Jovan freimütig. Umgekehrt brillierte er bezüglich Explosivität und lief die 100 Meter in normalen Turnschuhen in 11,3 Sekunden. Inzwischen hat Pauli aus dem «Spaghetti», wie sie ihn zu Beginn nannte, ein richtiges Muskelpaket gemacht. Im ersten Jahr hat er 6 Kilogramm Muskelmasse zugelegt und in dieser Saison nochmals 7 kg. In den bald zwei Jahren, seit er Vollprofi ist, hat er also sein Körpergewicht von 78kg auf 91kg gesteigert. 

«Früher war ich sehr oft verletzt, am Knie, im Rücken, an der Schulter. Mein Körper war nicht stark genug, um die hohen Belastungen auszuhalten», analysiert Jovan. Mittlerweile halten die körperlichen Voraussetzungen Schritt mit seinem aufwändigen Spielstil. Kommt dazu, dass er früher bei Lausanne oft eine ungenügende Vorbereitung auf die wichtigen Spiele hatte. Als Sportlehrerstudent war er zwar auch tagsüber immer sehr aktiv, aber eine obligatorische Skiwoche vor einem wichtigen Playoff-Spiel ist alles andere als eine ideale Vorbereitung.

Stand jetzt: Zum ersten Mal seit Jahren ist Jovan bisher gänzlich ohne Verletzungen durch die Saison gekommen. «Früher tat mir nach jedem Spiel alles weh, heute erhole ich mich viel schneller», freut sich der Romand.

Der Reiz der internationalen Luft

Das unmittelbare Ziel: Jovan will unbedingt das Double mit Amriswil gewinnen. Cupsieger ist er schon zweimal geworden, 2018 mit den Thurgauern und 2015 mit Lausanne UC. Eigentlich kann er sich auch Schweizermeister nennen, 2012 mit seinem Stammklub CS Chênois. Aber diesen Erfolg mag er nicht so richtig dazu zählen: «Ich habe damals zwar auch eine Medaille bekommen, aber ich konnte wegen einer Knieverletzung gar nicht mitspielen.»

Mittelfristig schweift der Blick von Jovan, dessen Vertrag mit Amriswil bis Ende nächster Saison läuft, auch über die Landesgrenze hinaus: «Die internationalen Partien mit dem Nationalteam haben mir sehr gefallen.» Auch wenn es schliesslich nicht zur EM-Qualifikation gereicht hat, so bleiben ihm Spiele wie der 3:2-Sieg in Ungarn, nach 0:2-Rückstand, in bester Erinnerung. Und er streicht die grossen Fortschritte heraus, die das Nationalteam unter Trainer Mario Motta gemacht habe. 

«Für die Universiade bin ich leider schon zu alt», bedauert Jovan, «aber an der nächsten EM-Kampagne bin ich wieder dabei.» Und er spürt auch erstmals den Reiz, womöglich einmal als Profi im Ausland zu spielen. «Ja, das wird langsam zu einem Ziel. Ich möchte unbedingt meine Grenzen ausloten im Volleyball. Ich habe bisher so viel investiert und auch so viele Opfer gebracht, dass ich nicht eines Tages sagen will, ich hätte nicht alles versucht.»

Man darf gespannt sein, wohin der (Volleyball-)Weg des Jovan Djokic noch führen wird.