Lothar Linz: der Sportpsychologe unserer Frauen-Nationalteams

«Erfolgreiche Menschen wollen das Problem nicht einfach weghaben»

Mentale Stärke ist ein wichtiger Baustein für Erfolg. Wer innerhalb des Teams und mit Trainer*innen sowie Erfolg und Misserfolg umzugehen weiss, kann sein Potenzial meist auch unter Druck abrufen. Leichter gesagt als getan? Wenn einer Rat weiss, dann Lothar Linz: Der Sportpsychologe ist eine wahre Koryphäe seines Fachs und begleitet seit vier Jahren unsere Beachvolleyball Frauen-Nationalteams. Der erfahrene Deutsche gewährt uns spannende Einblicke in seine Arbeit, spricht über Erfolgsrezepte, Vertrauen sowie Grenzen und gibt Tipps, wie auch Breitensportler im Mentalbereich vorwärtskommen.

Es ist Beachvolleyball-EM im Juli. Tanja Hüberli und Nina Betschart haben soeben ihren Viertelfinal gewonnen und der Titel ist zum Greifen nah. Nun ist Lothar Linz ganz besonders gefragt. Auf diesem Topniveau, wo die Teams technisch und taktisch nah beieinanderliegen, entscheide oftmals die mentale Stärke darüber, ob man am Ende mit einer Medaille um den Hals strahlt oder leer ausgeht, sagt der Diplompsychologe, der seit mehr als 20 Jahren im Leistungssport tätig ist. «Ich konnte Nina und Tanja in Holland für die Finalspiele sicherlich eine Portion Ruhe und Vertrauen mitgeben, etwas Nervosität abbauen. Und dann haben wir natürlich auch Details besprochen. Denn egal ob man gut oder mässig spielt, ob man gewinnt oder verliert, alles hat immer Auswirkungen auf den Kopf.» Die Schweizerinnen kehrten mit Silber aus Holland zurück. Grund genug für uns, die Arbeit im mentalen Bereich etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein Mann mit viel Erfahrung
Lothar Linz ist seit 2014 im Mandat für die Schweizer Beachvolleyball Frauen-Nationalteams tätig. Zwischendurch besucht er sie im Training, wo aktuelle Themen und langfristige Schwerpunkte bearbeitet werden. Weiter ist der 53-Jährige bei einigen Turnieren dabei, wo er zusätzlich Inputs bei der Spielbesprechung gibt. Zurzeit profitieren auch der Deutsche Handballbund und verschiedene Rheinländer Spitzenathleten aus dem Fechten, Judo und der Leichtathletik von seinem breiten Know-how. Die Verpflichtung des Deutschen ist ein absoluter Glücksfall, denn nicht wenige der von ihm betreuten Teams und Einzelathleten krönten sich zu Olympiasiegern, Welt- oder Europameistern. Oder heimsten sogar gleich all diese Titel ein wie zum Beispiel die Beachvolleyballer Julius Brink/Jonas Reckermann oder die Degenfechterin Britta Heidemann. Linz wirkte seit 1997 in mehr als 30 verschiedenen Sportarten und gibt seinen breiten Erfahrungsschatz als Dozent an der Trainerakademie Köln weiter.

«Manche Sportlerinnen und Sportler bringen von Natur aus wichtige Elemente der mentalen Stärke mit, zum Beispiel ein sehr grosser Ehrgeiz oder die Fähigkeit, absolut zielgerichtet zu arbeiten», sagt Linz, der in seiner Jugend Tennis gespielt hat und darum weiss, wie sich Druck anfühlt. Entscheidend sei auch die Art und Weise, wie man mit einem Problem umgehe: «Erfolgreiche Menschen wollen das Problem nicht einfach weghaben, sondern akzeptieren es als Herausforderung und arbeiten intensiv damit.» Der Deutsche vergleicht mentale Stärke gerne mit der Muskulatur. «Wir können durch gezieltes Training unsere persönliche Maximalkraft nach oben schrauben und viel stärker werden. Dennoch bleiben gewisse Grenzen bestehen, denn jeder Mensch bringt eine andere Struktur und individuelle Veranlagungen mit. Im Sport wollen wir das Beste herausholen – aus dem mentalen Bereich genauso wie aus der Muskulatur.»

Das Zünglein an der Waage im Spitzensport
Linz geht in seiner Arbeit tief und dafür ist Zuhören essentiell. Weiter beobachtet und analysiert er die unterschiedlichsten Wechselwirkungen, beispielsweise zwischen Athlet und Trainer, im Erfolg und besonders auch in schwierigen Phasen, wenn es harzt. «Gerade im Beachvolleyball verbringen die Zweierteams enorm viel Zeit miteinander. Sie reisen gemeinsam um die Welt, trainieren und spielen zusammen und teilen sich am Abend meist noch das Hotelzimmer. Damit sich die sportlichen Erfolge einstellen, müssen die Athletinnen und Athleten fast zwangsweise mit dem Charakter ihrer Partnerin oder ihres Partners umzugehen wissen, vor allem unter Druck.»

Auf Top-Niveau, wo Technik, Athletik und das taktische Verständnis bei vielen nahezu ausgereift sind, kann das Mentale zum Zünglein an der Waage werden. Im internationalen Leistungssport ziehen für diesen Bereich praktisch sämtliche Teams professionelle Unterstützung bei. Man könne damit aber auch schon im Jugendalter beginnen, oder im Breitensport, meint Linz. «Auf dem Weg zum Erfolg stellt sich immer die Frage, wie jemand Misserfolg verarbeitet.» Was soll ich also tun, wenn ich zweimal in den Block geschlagen habe und danach einmal ins Out? «Ein hilfreicher Tipp kann sein, Abstand zu nehmen, und zwar auch physisch. Also kurz ein paar Schritte aus dem Feld gehen, einmal durchatmen und sich vornehmen, beim neuerlichen Betreten des Spielfelds auf den nächsten Punkt zu fokussieren und den Ärger im wahrsten Sinne des Wortes draussen zu lassen.»

Der Weg soll nach Tokyo führen
Ein einmaliger Input zum Thema Mentaltraining könne kurzfristig durchaus wirken, sagt Lothar Linz. Die erfolgreichsten seiner Athleten und Teams hätte er jedoch immer über viele Jahre hinweg begleitet: «Ein langfristiger Aufbau ist extrem wichtig. Neben Trainingsblöcken in der Saisonvorbereitung muss ich zwischendurch auch in der hektischen Wettkampfsituation dabei sein, um optimal arbeiten zu können. Man kann nicht alles im Training simulieren.» Die Athlet*innen teilen ihr Innerstes, thematisieren ihre Ängste und Blockaden und bauen diese Schritt für Schritt ab. Dafür braucht es neben Zeit vor allem viel Vertrauen, und das bricht ein Lothar Linz nicht: «Selbst wenn meine aktuellen Athletinnen und Athleten gegen meine ehemaligen spielen, verrate ich die intimen Details oder Charakterschwächen nicht. Ich teile nur, was von aussen sichtbar ist.» Und sosehr er den fachlichen Austausch mit Kolleg*innen aus der Sportpsychologie schätzt, so setzt sich Linz auch dort Grenzen. «Vor den Olympischen Spielen in Rio fragte mich ein Kollege, wie ich die Schweizer Athletinnen auf dieses spezielle Highlight vorbereite. Nun war dieser Kollege jedoch Mentalcoach der Deutschen Borger/Büthe, also einem Team derselben Vorrundengruppe wie Heidrich/Zumkehr. Da habe ich meine Strategien natürlich schön für mich behalten.»

Den nächsten Olympischen Spiele 2020 in Tokyo blickt Lothar Linz entspannt entgegen, als Sportpsychologe hat er schliesslich schon alles erreicht. Trotzdem will er auch künftig Erfolge auskosten, denn seine Arbeit bereite ihm grosse Freude – gerade im lebendigen und lockeren Umfeld des Beachvolleyballs: «Mein Ziel ist, zwei Schweizer Frauenteams an diese Spiele begleiten zu dürfen.» Und zwar vom ersten bis zum letzten Match. «Die Emotionen auf dem gemeinsamen Weg zu Gold 2012 mit Brink/Reckermann gehören zu meinen absoluten Highlights», schwärmt der sympathische Deutsche. «Es muss sich nicht immer alles wiederholen, doch Träume zu haben ist wichtig.» Was würde eigentlich passieren, wenn die zwei Schweizer Teams aufeinandertreffen, wie es auch schon auf der World Tour geschah? «Dann gibt’s nur eines», sagt Linz mit Vehemenz, «ich halte mich komplett raus.»

@Swiss Volley